Leben mit Psychose: Sandras Geschichte

Das Thema psychische Erkrankungen begleitet Sandra schon ihr Leben lang: Als Betroffene, Angehörige und früher im Beruf. Wie sie nach ihrem Zusammenbruch wieder auf die Beine kam.

Verfasst von Swantje Kammerecker

Ein altes Bild in ihrer Stube zeigt die 14-köpfige Kinderschar des Urgrossvaters: «Mein Grossvater wurde 1908 geboren. Er war der traurige Mann in der Familie, das habe ich schon als Fünfjährige mitbekommen», erzählt Sandra.

Der Vater habe die Veranlagung geerbt. 1992 brach bei ihm eine Psychose aus. Und der Bruder von Sandra fiel bereits als Kind auf. Einerseits mit einer hohen mathematischen Inselbegabung, andererseits mit einer Entwicklungsstörung, die heute im Autismus-Spektrum vom Typ «Asperger» eingeordnet wurde. «Nachdem er viel zu hoch dosierte Psychopharmaka bekam, entwickelte er seltsame Bewegungsstörungen», sagt Sandra.

Eine schwere Last

Sandras prägende Rolle war die der Brückenbauerin, Beschützerin, sie war die Vermittelnde. Als sie jung heiratete, brachte auch ihr Partner eine von psychischen Erkrankungen belastete Familiengeschichte mit. Insgesamt eine schwere Last. Doch Sandra verspürte weiterhin das Bedürfnis, zu helfen. Nach einer Lehre im Verkauf wurde sie Sozialpädagogin und arbeitete mit psychisch Erkrankten, entwickelte einen guten Draht zu ihnen.

Bis es sie selber traf: Nach einem Zusammenbruch 2013 folgten stationäre Aufenthalte in den Psychiatrien Glarus und Herisau. Diagnose: schizoaffektive Störung, Paranoia - also Wahnvorstellungen, «eine schwerwiegende Sache». Zuerst klang die Psychose wieder ab, «aber 2014 ging es mir wieder schlechter, mein Mann erreichte, dass ich in eine Klinik in Langenthal kam».

Diesmal schaffte sie es zurück ins Leben und in den Beruf, unterstützt vom Ehemann. 2021 dann wieder ein psychotischer Schub, Aufenthalt im Waldhaus Chur. In der Psychiatrie des Kantonsspitals Glarus wird bis heute die Therapie fortgesetzt. «Einmal im Monat bin ich in der Sprechstunde. Ich nehme meine Medikamente, ich kann wieder ein kleines Pensum arbeiten neben der IV.»

Der Glaube als Pfeiler

Sandra versorgt regelmässig ihre betagte Mutter. Und da sind noch der zehnjährige Herzenshund und die Meerschweinchen. Sie alle fühlen sich wohl im alten Haus am Rande des Dorfes. Nach einer Scheidung ist Sandra an den Ort zurückgekehrt, wo sie aufgewachsen ist. «In der Kirche hier möchte ich entweder nochmals heiraten oder beerdigt werden», meint sie schmunzelnd und zugleich sehr ernst. Der christliche Glaube habe sie all die Jahre getragen im Leiden und auch in den Freuden, die mit ihrer psychischen Disposition verbunden sind. Denn: «Ich erlebe durch sie auch viel Wertvolles. Wir Betroffenen können über grosse Kräfte und auch Fähigkeiten verfügen.»

Das werde oft nicht gesehen, weil «Gesunde» nur den Menschen ausserhalb der Norm sähen, der als Belastung, Kostenfaktor, unberechenbar, eben «therapiebedürftig» gelte. Kein Wunder versteckten sehr viele Betroffene diesen Teil ihres Lebens, um nicht stigmatisiert zu werden. «Heute sehe ich auch die guten Seiten meiner Psychose», sagt die Glarnerin.

Clubhaus passt ins Glarnerland

Genau darum engagiert sich Sandra für das Clubhaus-Projekt, weil hier etwas aus den Ressourcen der Mitglieder entstehe. Hinter dem Projekt steckt der Schwander Pfarrer Peter Hofmann. Er beschreibt das neue Angebot für psychisch kranke Menschen so: «Man trifft sich und unterstützt sich gegenseitig, um wieder ins Leben zu kommen.»

Menschen könnten sich in einem Clubhaus auf Augenhöhe begegnen. Es finde keine Einordnung nach Diagnose statt, es werde einfach ein Platz und ein Miteinander angeboten, ohne bürokratische oder finanzielle Hürden, so Hofmann. «Ein Projekt, das ins Glarnerland passt», findet Sandra.

Das Projekt steckt aber noch ganz am Anfang.